Being Paulus Manker (eine kurze Satire zum Jahreswechsel)

(Dieser Artikel erschien bereits, auch Ende 2006 in einem Unternehmensmagazin, macht aber nix, ein Jahreswechsel wiederholt sich bekanntlich ja jedes Jahr, und dem Melzer fiel für diesen AUCH NICHTS BESSERES ein....)

 

"So viel kann ich gar nicht essen, wie ich kotzen möchte..."
Paulus Manker zu aktuellen, österreichischen Kulturpolitik

 

Nein, nein, keine Angst, der Melzer wird sich hüten, den bekannten Schauspieler und Theatermacher nur irgendwie zu verunglimpfen, die Satire (lt. Duden die ironisch-witzige Darstellung menschlicher Schwächen) bezieht sich natürlich auf ihn selbst. Aber es begab sich halt einmal, dass sich beide auf dem Flughafen Wien über den Weg liefen, also eher der Manker dem Melzer, denn umgekehrt wohl kaum, wie und woher sollte der Manker auch den Melzer kennen.

 

Der Melzer war auf dem Weg nach Rom. Zu Freunden, um mit ihnen gemeinsam ein paar schöne Tage zu verbringen und als Höhepunkt den Jahreswechsel in der ewigen Stadt zu begehen. Schon komisch, da flüchtet ein Wiener nach Rom, um für ein paar Stunden den Straßenräumkommandos mit ihren Salzstreuern zu entkommen, und im Gegenzug taten sich genau diese Tortour jährlich zigtausende Römer in Wien freiwillig an. Um als Höhepunkt zur mitternächtlichen Stunde am Stephansplatz von ein paar Knallkörpern (im wahrsten Sinne des Wortes) abgeschossen zu werden. Und so ein Brandloch in der feinen Lammfelljacke macht sich als Reisesouvenir ja wirklich gut. Doch der Erzähler schweift soeben ab.

 

Also, der Melzer in der Wartehalle am Flughafen Wien. Eine krächzende Stimme aus dem Lautsprecher verkündete soeben die Verspätung der Maschine aus und somit nach Rom, die an diesem Morgen anscheinend nicht rechtzeitig starten konnte, ergo 50 Minuten zusätzliche Warterei. Damit war zu rechnen. Und in diesem Moment schritt, mit wallendem Seitenhaar und in schwarzen Existenzialismus gehüllt, Paulus Manker am Melzer vorbei, um wenige Meter später, den elektronischen Abflugtafeln einen verachtenden Blick zuwerfend, an einem kleinen Tisch Platz zu nehmen. Damit war eher nicht zu rechnen!

 

Melzer, ganz in Herman Melville's Erzählung "Bartleby, der Schreiber" vertieft, sah auf. Er hatte den Manker noch von einer seiner Alma-Inszenierungen lebhaft in Erinnerung, kurz nach der Pause, als rasend eifersüchtigen Oskar Kokoschka, der mit weißem Schaum vor dem Mund Gläser in Richtung Publikum schmiss, und dieses teilweise auch traf. Und der Melzer ging vorsichtshalber einmal ein bisschen in Deckung.

 

Aber so war er, der Herr Manker, und dafür verehrte ihn der Melzer auch ein wenig, denn in seinen Augen spielte der Paulus Manker nicht, er war die jeweilige Rolle. Was der Künstler übrigens im Film "Slumming" eindrucksvoll unter Beweis stellte. In diesem Film verkörperte er den poetischen Trinker Franz Kallmann, der fluchend durch die Stadt zieht, um mit seiner dichterischen Arbeit ein wenig Geld zu verdienen. Betrunken schläft er auf einer Parkbank vor dem Wiener Westbahnhof ein, und erwacht am nächsten Morgen (zwei Yuppies verfrachten ihn dorthin) vor dem Bahnhof von Znaim (Tschechien) mit den Worten "Wos is denn do los....". Eine abenteuerliche, aber ebenso poetische Heimreise beginnt. Ein Viech, wie man in Wien so schön sagt. Und als Kompliment gemeint, allein für das Spiel dieser Rolle lag ihm der Melzer zu Füßen.

 

An diesem Morgen schien er wesentlich friedlicher, kontrollierte nochmals verachtend die Abflugtafel, um sich danach in sein Notebook zu vertiefen. Wobei es ihn bei jeder Tastenberührung leicht riss, ja selbst seine Mails schien dieser Mann des Theaters mit viel Leidenschaft zu verfassen. Ihn dabei zu beobachten, stellte eine willkommene Abwechslung für unseren Freund dar, denn der Bartleby in seiner chronischen Verweigerung (I would prefer not to) war ihm um diese Stunde ein wenig zu mühsam, das davor gelesene Magazin namens "IQ style" schlicht und einfach zu doof. Kennen Sie das Magazin? Nein? Wird es wahrscheinlich auch nicht mehr geben...

 

Sie haben nicht sehr viel versäumt, also dafür in der Trafik oder im einschlägigen Zeitschriftenhandel € 4,- zu bezahlen lohnt nicht. Ständig kommen irgendwelche Meinungsbildner zwischen 25 – 29 Jahre zu Wort, aus der Gegend zwischen Wien und Düsseldorf, um sich über Bacardi-Flaschen mit Himbeergeschmack auszulassen (".. da habe ich auch meinen Freund kosten lassen und der war dann auch begeistert..."), oder über Funkmäuse ihr Urteil abzugeben. Und all der Zeitgeist auf 90 Seiten in kläglich schickem Design endet dann auch noch mit einem Gewinnspiel, wo so tolle Preise wie Trend-Haarglätter oder Trend-Toys (??) verlost werden.

 

Natürlich hätte der Melzer gerne gewusst, wohin es den Theatermann zog, während er ihn so beobachtete. So malte er sich des Mankers Reiseziel anhand der Destinationstafeln in der Abflughalle aus: Var.1) Wahrscheinlich ein Treffen verschiedener Regisseure in Nizza, auf einen kleinen Gedankenaustausch, dazwischen Kurzweil im Schanigarten des Negresco, während auf der Promenade de Anglais die Maserati vorbeizogen. Var. 2) Paulus Manker stattete einem schwerreichen Mäzen in seinem Winterquartier auf Mallorca einen Besuch ab, um die Details für die nächste Alma-Aufführung in der Kathedrale von Palma zu besprechen, und Var. 3) er eilte nach Sofia, um dort dem Staatstheater einmal zu zeigen, wo der Bartl den Most holt. Oder doch, so wie der Melzer, nach Rom??

 

Mankers Reisen stellte er sich schon ein wenig mondäner vor. Und gedanklich wäre er in diesem Moment auch gern ein wenig Paulus Manker gewesen. Im Cafe Korb auf der Tuchlauben stets ein freier Tisch, ist ja außerhalb der Reisezeit auch kein Nachteil, oder? Wohnung nähe Innenstadt?? Auch nicht schlecht. Und viele, junge Schauspielerinnen, die sich auf die Knie hauen, um mit dir arbeiten zu können? Nau? Nur mit dem existenzialistischen, ständigen Schwarz hätte er so seine Probleme gehabt, da sieht man doch jede Fluse drauf, na das wär' was für unseren Pedanten gewesen.

 

Der Aufruf zum Boarding in Richtung Rom schreckte ihn aus seinen Gedanken. Nach Rom ging des Mankers Reise auf alle Fälle nicht, denn der blieb weiterhin leicht zuckend vor seinem Notebook sitzen und so trennten sich die Wege der M's auch schon wieder. Melzer, ein wenig angefressen über die Tatsache, dass er jetzt erst recht nicht wusste, wohin es den Theatermann trieb, nahm auf seinem Sitz Platz und widmete sich wieder dem Bartleby, der mit einem entwaffnenden "I would prefer not to" noch immer seinem Herren beharrlich den Dienst verweigerte.

 

Den Jahreswechsel in Rom zu verbringen heißt zumindest einmal den Schotterlawinen auf Wiens Straßen zu entrinnen. Silvester in Rom heißt aber auch, sich die ewige Stadt mit 4 Millionen Einheimischen zu teilen, zu denen sich noch gut 1 Million Pilger und Gäste gesellen, deren Hauptbedürfnis darin besteht, am 1. Jänner in der ersten Reihe am Petersplatz zu stehen, um den päpstlichen Segen zu empfangen. Es heißt aber auch zumindest 10 – 14 Grad auf der Plusseite, immergrüne Hecken und Balkonpflanzen, und mit viel Glück un Caffè unter einer der unzähligen Gasheizlampen, die während der Wintermonate (welch ein Wort in Rom) vor den Bars Aufstellung finden.

 

Es sei an dieser Stelle erlaubt, noch ein wenig mehr zu hinterfragen, warum Rom eine so begehrte Reisedestination abgab? Die Freunde begründeten dies neben den klimatischen Vorteilen, der zentralen Lage im Herzen Italiens eben auch damit, dass in Rom die Menschen wesentlich freundlicher und offener als z.B. in Mailand sind. Der geschichtliche Background, die Ruinen? Der Sitz des katholischen Oberhirten? Der furchtbare, den ganzen Tag über bedrohliche Verkehr inkl. Lärm? Die schlechten Straßen mit den riesigen Schlaglöchern? Das Kopfsteinpflaster, immer noch allgegenwärtig? Die Taschendiebe in der Metro sowie auf der Piazza di Spagna und vor dem Pantheon? Alles zusammen?

 

Jahreswechsel..

 

4 x im Jahr herrschte in Rom Ausnahmezustand. 2 x beim Stadtderby zwischen Lazio und dem AS Roma, zu Ostern und natürlich während der Tage rund um den Jahreswechsel. Die große Krippe auf dem Petersplatz befand sich seit 24. Dezember ebenso im Belagerungszustand wie das gesamte Domgelände, Höhepunkt dann der 1. Jänner mit dem Neujahrssegen, dem sich 200.000 Menschen, zumeist verzückt lächelnd, im Kollektiv hingaben. Dieses Lachen verging ihnen spätestens auf dem Weg danach in Richtung Innenstadt, wenn sich die Massen über die innerstädtischen Hauptverkehrsrouten verteilten, um sofort die ohnehin stets angespannte Verkehrssituation völlig kollabieren zu lassen.

 

Es dampfte nach einem gewittrigen Regenschauer an diesem Silvesternachmittag in der ewigen Stadt. 13 Grad über Null ließen einen glauben, dass der heimische Winter ganz, ganz weit weg war. Melzer, der sich eigentlich nach einem Besuch der Engelsburg gemütlich auf den Heimweg in Richtung Pairoli machen wollte, stieg wieder einmal prompt in den falschen Bus und landete in der Nähe des Kolosseums. Auch gut, dachte sich der Dussel, der Abend dämmerte schon leicht, also schönes Licht auf die alten Steine, ein paar Fotos, und dann mit der U-Bahn in Richtung Freunde. Denkste! Rund um Roms antikes Herz herrschte reges Treiben. Die Idee mit dem weichen Abendlicht teilte Melzer mit noch einigen tausend anderen Touristen, was zur Folge hatte, dass auf jedem gemachten Foto zumindest drei fremde Rücken surrealistische Streifen hinterließen. Die geplante Flucht mit der U-Bahn scheiterte am Umstand, dass es gar kein Hineinkommen in die Station gab, geschweige denn ein Weiterkommen in Richtung Bahnsteig.

 

Also machte er sich zu Fuß auf den Weg in Richtung Stazione Termini. In diesem Moment fiel ihm wieder Paulus Manker ein, der an seiner Stelle mit weit ausholenden Armen auf die Via Imperiale gesprungen wäre um ein Taxi zu stoppen,  dem völlig verängstigen Fahrer die Weisung  "Via XXXX 99, pronto!!" zugebrüllt hätte, um 10 min später, nach atemberaubender Fahrt, in der Küche der Freunde weltmännisch ein 8-gängiges Gala-Dinner für den Silvesterabend zu zaubern. Wahrscheinlich hätte er den Fahrer unterwegs noch gezwungen, vor einer Weinhandlung kurz Halt zu machen, um dort noch 6 Flaschen eines erlesenen Champagners für die Mitternachtserfrischung zu erstehen – quasi im Vorbeifahren und vorgebracht in perfektem Italienisch inklusive imitierten, römischen Akzent.

 

Doch da er eben nicht Paulus Manker war, kam der Melzer nach 1 ½ Stunden, dreimaligen Umsteigen und von den Menschenmassen allerorts leicht entnervt an, um dort freien Willens die niederen Dienste in der Küche zu übernehmen. Also den Fisch putzen und das Gemüse stückeln. Wein und Prosecco mundeten auch ohne P.Manker vorzüglich, ebenso die Fischsuppe.

Im Anschluss an das vorzügliche Mahl nötigte Melzer die Gruppe zur kollektiven Teilnahme am legendären Silvesterstück "Dinner for One" mit dem entzückenden Freddie Frinton, um sich, wie jedes Jahr, den Bauch vor lachen zu halten. Wesentlich ruhiger verlief da schon der eigentliche Jahreswechsel auf dem Balkon der Freundeswohnung, bei Donauwalzer und gelegentlichen Detonationen einiger Böller, die in der Nachbarschaft gezündet wurden. Nur zwei ältere Damen am Nachbarbalkon fielen etwas aus der Reihe, versuchten sie doch krampfhaft, sich und ihr Heim mittels einiger Sternspritzer zu entzünden, was zum Glück trotz mehrmaliger Versuche nicht gelang.

 

Und Melzer stellte sich vor, wie der Paulus Manker an seiner statt auf dem Balkon eine Flasche Champagner der Marke Louis Roederer Cristal Brut, Jahrgang 1998 elegant geköpft hätte, um lauthals der gesamten Nachbarschaft kein gutes, neues Jahr zu wünschen.

Als ganz normale Heimreise..

 

.. wäre Melzers Rückflug durchgegangen, wenn es am Tag davor nicht so geschüttet hätte. So folgte, dass trotz Schirm und wasserdichter Gore-Tex-Jacke ein leicht durchnässter Melzer am Abend vor der Heimreise in die freundschaftliche Wohnung heimkehrte, sein Portmonee (schreibt man jetzt tatsächlich so) aus der nassen Jacke nahm, um es im Vorzimmer auf die Kommode zu legen. Am nächsten Morgen, im Taxi, kurz vor dem Flughafen, passierte, was passieren musste. Er griff auf seine rechte Brusttasche, wo sich normalerweise die brauen Lederhülle befand, und dort war – nichts! Panik! Umkehren? Flieger verpassen?

 

Sch..., Trottel! Der ohnehin aufgrund einer Verkühlung mit dem Rotz raufende Fahrer blickte ein wenig besorgt in den Rückspiegel. "Draht ma der jetzt durch?" schien sein Blick zu fragen. Doch Ticktet und Pass hatte der Melzer, also weiter in Richtung Flughafen, wobei zu erwähnen wäre, dass die Maschine nach Wien ohnehin erst mit gut einer Stunde Verspätung abhob. Eigentlich ganz typisch für unseren Dussel. Sein Portmonee (schreibt man noch immer so...) hielt er übrigens ohnehin am nächsten Tag wieder in Händen, das wurde von den Heimreisenden des nächsten Tages mitgenommen.

 

Abschließend erlaubt bitte dem Melzer, dass er Euch in unser beider Namen alles Gute für kommende Jahre wünscht, wir wissen ja schließlich nicht, wann Ihr diese Zeilen lesen werdet, könnte ja auch Mitte Juni sein. Und da der Melzer mit Vorsätzen sowieso nichts am Hut hat, gönnt ihm bitte, dass er seinen Bericht mit einem zweiten Zitat beendet:

 

"Bitte nie sagen: 'Das ist langweilig, das kenne ich schon.' Das ist die größte Katastrophe!
Immer wieder sagen: 'Ich habe keine Ahnung, ich möchte das noch einmal erleben.'"

Heinz von Foerster, Kulturphilosoph (1911–2002)

 

PS: Ungefähr ein halbes Jahr nach Veröffentlichung meldete sich Paulus Manker kurz mit den Worten:

"Es war übrigens Lissabon."

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