Über Adventdepressionen, Jacques Tati, das Älterwerden und des Melzers übliche Grantelei…

Gleich zu Beginn wieder der einstudierte Beipackzettel und die erforderlichen Warnhinweise, damit Ihr den Melzer aufgrund bleibender Schäden nach der Lektüre nicht verklagen könnt. Vorab einmal ACHTUNG: Während Ihr diesen Text lest, werdet Ihr vom Smartphone gleich mehrmals abgelenkt. Die Aufmerksamkeitsspanne sinkt zunehmend, viele von uns können sich nur mehr drei Minuten konzentrieren. Maximal! Wenn Ihr es nicht glaubt, fragt Euren Apotheker oder Pizzera & Jaus.

Look down, look down, that lonesome road, before you travel on… singt die ach so wunderbare Madeleine Peyroux dem Melzer stets ins Ohr. Täglich, beim ersten Blick in den Spiegel sagte sich der Melzer diese Textzeile vor, um sich zu disziplinieren. Ein günstiger Zeitpunkt, denn als halbwegs rüstiger Mann von 62 Jahren genoss der Melzer stets die Freude der frühen Brise, denn der Morgen bedeutet die Jugend des Tages, zuverlässlich wiederkehrend, während die seine längst vergangen ist.

Wehmut mag schön sein, doch Innovation bleibt heute das Maß der Dinge, da war schön langsam für den Melzer kein Platz mehr.

 

Obwohl! Obwohl! Hopfen und Malz waren noch nicht ganz verloren, noch hatte der träge Geist des Alters bei ihm nicht das Kommando übernommen, konnte er sich doch ganz wunderbar an den Kassen der Konsumwelt aufregen, wenn die Herrschaften beim Bezahlvorgang das ewige Kramen im Kleingeldbörserl zur Religion erhoben, und die dazugehörige Messe dauerte dann gefühlte 20 Minuten, bis endlich der Kassenbon ausgespukt wurde. Ebenso auf die Palme bringen konnten ihn (leider auch wiederum zumeist ältere Menschen) die, die spontan im Eingangsbereich eines Geschäfts, Restaurants, Cafés stehenblieben, um darüber zu meditieren, ob sie auch tatsächlich das Auto abgesperrt haben, ob der Hund eh angeleint ist, wo sich denn der Einkaufszettel befinden könnte, das Rezept, die Eintrittskarte, etc., etc.

 

Jung hielten ihn die Kinder in der Schule, klassenübergreifend. Von ihnen konnte er noch jede Menge lernen, diese zum Glück noch unverbogenen Wesen hatten noch die Zunge auf der Seele, hinterfragten sofort, waren interessiert. Sie waren die Zukunft, und der Melzer bemühte sich redlichen Herzens, sie auf dem Weg dorthin ein ganz kleines Stück zu begleiten.

 

Jung hielten ihn aber auch z.B. die Filme von und mit Jacques Tati, dessen Todestag sich am 4. November dieses Jahres übrigens zum 40sten Mal jährte. Leider war dieser grandiose Schauspieler und Regisseur in letzter Zeit ein wenig in Vergessenheit geraten, wie der Melzer meinte, zu unrecht, Filme wie "Die Ferien des Monsieur Hulot" oder "Schützenfest" gehören ja fast schon zum Weltkulturerbe.

Ein nicht zu leugnender Vorteil des eingetretenen Alters war die Rolle, die man einnehmen konnte. Wie Statler oder Waldorf (kann man sich dann aussuchen…) in der Loge sitzen, und die bisherige Lebenserfahrung dazu nutzen, um vom ersten Stock hinunterzukeppeln.

 

Und je länger der Tag andauerte, je mehr Informationen auf den Melzer einprasselten, desto größer war die Gefahr, dass die Mieselsucht das Kommando übernahm, dass der alte Grantscherben aus ihm raus wollte.

 

Ein Freizeitmagazin feierte vor kurzem sein 33jähriges Bestehen, ganz verstand der Melzer dieses sonderbare Jubiläum nicht, aber heutzutage reihen sich verhaltensoriginelle Feste und Jubiläen gerne aneinander. Aber! Beim Durchblättern des Magazins erleuchtete der vielseitige Inhalt des Melzer Synapsen und ermunterte ihn zu diesem Eintrag.

 

Die Kernkompetenz eines solchen Magazins ist das Vermitteln der schönen Dinge des Lebens.

 

Er blätterte und blätterte, las von den schönen Dingen des Lebens und sah sich dabei ziemlich im Abseits stehen. Zunehmend ging dem Melzer das ganze „Gschisti gschasti“ rund um die Themen Essen, Trinken & Lifestyle mehr und mehr auf die Nerven. Das mit dem Genuss war ohnehin eine eigene Geschichte. Zuviel davon schadet, was man speziell im Alter schnell merkt. Spät Essen geht gar nicht mehr, man bringt sich um den Schlaf, liegt schwitzend und stöhnend im Bett. Ein Glas Wein, ja, sehr gerne, aber der ganze Zinnober rundum ist lässlich. Bier geht beim Melzer gar nicht mehr, ein Buckliger mit Wampe ist zu viel des Guten.

 

Und wochenlang vom letzten Urlaub irgendwo zu erzählen, fand er zunehmend ermüdend. Reisen, ja bitte, aber damit die halbe Menschheit zu quälen war nicht sein Bedürfnis, noch dazu wo wir doch wissen, dass die gemeinte Objektivität bereits sehr subjektiv ist. Oder einfacher formuliert, Gusto und Ohrfeigen sind so verschieden, da sollte jeder Einzelne damit recht vorsichtig umgehen. Natürlich muss jeder Kaufmann seine Ware preisen, aber der Melzer leistete sich mittlerweile den Luxus des nicht Zuhörens.

 

Da ging er schon lieber auf den Hietzinger Friedhof, um ein wenig mit Alexander Lernet-Holenia oder Robert Hochner zu plaudern. Beides äußerst gute Zuhörer und zu Lebzeiten höchst interessante Persönlichkeiten, da ließen sich an den Gräbern wunderbar Geschichten destillieren. „Die Standarte“ von Lernet-Holenia sollte man zumindest einmal im Leben gelesen haben, um den speziellen österreichischen Charakter mit all seinen Minderwertigkeitskomplexen besser zu verstehen.

 

Wir haben verlernt auf die Zeit zu achten. Sie ist so kurz und wird mit zunehmendem Alter rasch weniger und weniger. Wenn man dann auch noch ein Portrait über Arik Brauer sieht, dabei wieder einmal bemerkt, welch‘ wunderbar gebildeter Uneingebildeter dieser Mensch war, dann könnte man schon einmal auf den bösen Gedanken kommen, warum müssen immer die Falschen gehen??

Strapazieren möchte der Melzer weiters ein Thema, das ohnehin jedes Jahr etliche Kolumnisten über Wasser hielt. War es notwendig, dass man in den Supermärkten ab September durch ein Labyrinth von Lebkuchen wanderte, dass die Baumärkte nahezu zeitgleich damit anfingen, Teile ihres Angebots auf weihnachtliches Disneyland umzustellen? Von Nachhaltigkeit keine Spur, wir wurden überschüttet mit Plastikklumpert „Made in China“, blickte man jedoch in die Augen der gustierenden Damen und Herren, leuchtete dort schon das Weihnachtsfest in all seinen schrecklich verkitschten Zügen, die jährlich wiederkehrenden Enttäuschungen wurden nahezu perfekt ausgeblendet, das Flämmchen des Streits, während der Weihnachtsfeiertage besonders leicht zu entzünden, bereitete sich auf seine jährliche Arbeit vor.

 

Er musste tatsächlich all seine noch in Resten vorhandene Contenance aufbringen, um an dieser Stelle zu diesem Thema nicht ausfällig zu werden. Warum kann man die Weihnachtstage nicht friedlich, ohne depperte Schenkerei, ohne jeglichen Eventcharakter verbringen? Denkt an all das Elend da draußen und haltet inne!

 

Die letzte Illusion wurde dem Melzer zu Beginn der Adventzeit übrigens auch geraubt, lüftete doch der A1-Konzern in einem Werbespot das große Geheimnis, dass die Geschenke nicht vom Christkind gebracht wurden, sondern von einer weiß lackierten Drohne mit dem A1-Logo drauf. Wie hatte der Melzer zu Beginn dieses Eintrags doch gemeint, „Innovation bleibt heute das Maß der Dinge…“!! Vor den Zweitklasslern wird er jedoch schweigen wie ein Grab, vielleicht beachteten sie den doofen Werbespot ja auch gar nicht.

 

Wenn man dann noch den ganzen Schrott dazurechnete, den das mittlerweile weitverbreitete Halloween-Fest Ende Oktober verursachte, es ist zum Heulen! Als wäre das, was da täglich rund um uns herum geschieht, nicht schon ohnehin gruselig genug…

Denken die Menschen um? Geh, bitte…

 

Da können die Umweltaktivist*innen noch so viel Püree auf die Monets dieser Welt werfen, es wird das Verhalten der Menschen nicht verändern. Stichwort Herbstferien, packen wir die Family ins Auto, und ab in den Süden. An der nördlichen Adria war Ende Oktober mehr los als während der Hauptreisezeit. Kein Vorwurf, liebe Reisende, eine reine Feststellung.

 

Ausflugsziele in Österreich wurden gestürmt, denn es war in Mode gekommen, mit dem Auto möglichst nah an den Gipfel, den See, die Klamm, die Höhle etc. etc. heranzufahren, man musste daraus ja keinen Wanderausflug machen oder gar die öffentlichen Anreisemöglichkeiten nutzen. Bekanntlich begannen die Kinder ohnehin nach 200 m zu winseln, das wollte man sich ersparen.

 

Wiesen, Wege, Forststraßen, also alles, was nicht mit Selbstschussanlagen oder elektrischen Starkstromzäunen gesichert war, wurden als Parkplatz genutzt, die Wiesen dabei plattgewalzt, die Forststraßen in Staubhöllen verwandelt. Entlang der Straße in Richtung Hohe Wand überlegen die Verantwortlichen vor Ort mittlerweile ernsthaft, ob zu Stoßzeiten nicht ein Schranken angebracht wäre. Immerhin, diese Massen schafften es mit ihrer Ignoranz mittlerweile bis in die Hauptabendnachrichten. Gratulation! Hauptsache, die Fotos auf Instagram passten.

Wühlkiste (Musik & Literatur)

 

Einen kleinen Hinweis in fast eigener Sache möchte der Melzer, jetzt einmal gar nicht grantelnd, auch an dieser Stelle anbringen. In geregelten Abständen ist es ihm erlaubt auf dem WEBradio-Sender von Karl Pichlers Kulturlokal „s’Baumgarten“ moderierte Sendungen über junge, aber auch legendäre Musik abseits der Formatradios zu senden. Hin und wieder stellt er auch gerne internationale Künstler*Innen vor, der Schwerpunkt liegt aber eindeutig auf Musik aus Österreich.

 

Und wenn man einen Sendetermin verpasst hat, gibt es die Möglichkeit unter dem YouTube-Kanal https://www.youtube.com/channel/UC1XuL7L8-u3z-tLqB5jLG1g/videos ALLE bisherigen Radio-sendungen in Ruhe nachzuhören. Und stets werden es mehr!

 

Madeleine Peyroux / „Careless Love“ (ABER auch alle anderen Alben der Musikerin…)

 

Anlässlich der Jubiläumsausgabe des erstmals 2004 erschienen Albums kommt M.P. im Jänner auch wieder einmal nach Wien, und der Melzer freute sich wie der berühmte Schneekönig, denn die Tickets dafür hatte er schon. UND nein, um kein Geld der Welt würde er sie hergeben.

 

Die Musik der frankokanadischen Sängerin mit der unverwechselbaren Stimme ist für den Melzer stets beruhigender Balsam auf die Seele, egal, ob es sich um ihre eigenen Stücke handelt oder um wunderbar dargebrachte Coverversionen von Leonard Cohen, Tom Waits oder Bob Dylan.

 

Emilio De Marchi / „Baron Santafusca und der Priester aus Neapel“

 

1888 geschrieben, erfreut diese Neuauflage in überarbeiteter Übersetzung als Vorreiter eines Kriminalromans. Ein aus eigener Schuld völlig verarmter und verlotterter Adeliger „rettet“ sich kurzfristig durch den Mord an einem Priester vor dem Bankrott, glücklich wird er jedoch nicht. Spannend und amüsant zugleich, aber als Sieger geht die schöne Sprache des Schriftstellers hervor.

 

Cay Rademacher / „Die Passage nach Maskat“

 

Sommer 1929, Passagiere aus der High Society sind ebenso an Bord des luxuriösen Dampfers wie düstere Gestalten aus der Halbwelt. Als plötzlich die Frau der Hauptperson spurlos verschwindet, gerät das Buch zum mysteriösen Kriminalfall. Großartiges Lesevergnügen!!

Am Ende dieses Eintrags möchte der Melzer sich noch kurz dem Ableben von Dietrich Mateschitz widmen, wobei er sich schon wochenlang viel dazu dachte, doch erst von einem Leitartikel des sehr geschätzten Armin Thurnher im Falter wurde er animiert, diese Zeilen auch zu verfassen.

 

Beim Melzer handelte es sich um einen Mix aus Bewunderung, was man mit gutem Marketing und einem furchtbaren Produkt weltweit bewirken konnte, offener Ablehnung, was die Person betraf und echtem Erstaunen, welches tagelange mediale Echo das Ableben des Milliardärs hervorrief.

 

Auch ein Kommentar von Hannes Rauscher fügte sich hier passend ein:

 

„Dietrich Mateschitz war ein erstklassiger Unternehmer und ein Mäzen wichtiger kultureller Einrichtungen. Sein Hangar-7 mit historischen Flugzeugen war/ist eine Freude für jeden Freund schöner Technik. Die vielen Schlösser und historischen Häuser, die er aufwendig renovieren ließ, zeigen einen Menschen, der etwas gegen die Verschandelung der Heimat getan hat.

 

Mateschitz war aber auch einer von den sehr rechten Milliardären und Selfmademen, die ihre politische und gesellschaftliche Überzeugung massiv über selbstgeschaffene Medien verbreiten.“

 

Trotz immer wieder guter Dokumentationen hielt der Melzer z.B. den Sender Servus TV für eine gefährliche Sache. Die Zuneigung der Seher wurde mit div. Sportevents erkauft, die es sonst nirgends zu sehen gab und der Zurschaustellung alpiner Wohlfühlverhältnisse, auf keinem Sender dieser Welt war der Himmel stets blauer als auf Servus TV. Zugleich stellte man, nau na, den wirren Weltansichten des Chefs genügend Sendeplatz zur Verfügung, dargebracht von mehr als fragwürdigen Redakteuren.

 

Letztlich musste man Mateschitz, ganz ohne Neid, eines lassen. Sein Getränk verlieh zwar keine Flügel, er machte die Menschen aber wacher, verfügbarer, nervöser und allzeit bereit! Der Drink passt perfekt zu den permanent am Handy erreichbaren Narzisst*innen dieser neoliberalen Ära, und all der vielen kleinen Handelsvertreter, die die Großen da draußen zu imitieren versuchen.

 

Möge er in Frieden ruhen, und möge sich der Himmel über ihm so blau wölben, wie er in den Heimatsendungen auf Servus TV immer strahlen musste.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0