Nördl. Adria - April 2022

"Sail Away And Never Come Back To Your Shore!"

 

Nein, die obige Textzeile stammt tatsächlich nicht aus der Feder von R.M. Rilke,

sondern vom wunderbaren Singer-/Songwriter Gernot FELDNER,

der den Melzer musikalisch stets im Friaul begleitete - ohne es zu wissen.

 

Große Sorge!

 

Gleich einmal vorab, der Melzer war ein wenig besorgt. Ja, sowieso in Tagen wie diesen, aber auch ein wenig speziell. Und diese spezielle Sorge kam daher, weil seine fast „heimatliche“ Lieblingsdestination in den letzten drei Jahren ziemliche Berühmtheit erlangte. Grado war in aller Munde, selbst im Kaffeehaus am Nebentisch hörte man irritiert die Menschen davon reden, dass sie einen „Kurztrip“ nach Grado „am kommenden Wochenende“ unternehmen werden. Fadisierte Hausfrauen schrieben bereits an den zigsten Grado-Krimis, die nicht nur in den Tabacchi-Läden Grados auflagen, sondern auch in den Auslagen diverser Hietzinger und Döblinger Buchhandlungen. Zusätzlich fanden sich nebst dieser schauerlichen Krimis Adria-Ratgeber aller Art, der Sender 3sat brachte gefühlt jedes zweite Wochenende eine Sendung über die nördliche Adria und damit auch über Grado. Gut für den örtlichen Tourismus, schlecht für den Melzer!

 

Wer übrigens wirklich gute Literatur über die nördl. Adria konsumieren möchte, der sollte auch weiterhin die zahlreich vorhandenen Blogs vom Melzer lesen (siehe im Blog-Archiv), oder auf Bücher wie "Das Geisterschiff" von Egyd GSTÄTTNER, "Grado abseits der Pfade" von Michael DANGL und "Nächstes Jahr im Küstenland" von Christine CASAPICOLA zurückgreifen, diese Werke machten Sinn!

Was war denn da passiert?


Noch vor wenigen Jahren erntete man mitleidige Blicke, wenn man darüber berichtete, seinen „Urlaub“ in und rund um Grado verbringen zu wollen. Fad, langweilig, kein schönes Meer, nur für Pensionisten, etc. etc. Und jetzt, nix mehr mit „Krethi & Plethi“, da wurde mittlerweile über eine Trenddestination geschrieben. Enttäuscht schüttelte da der Melzer sein Haupt, die letzte Rückzugsbastion drohte vom Tourismus überrollt zu werden. Wie schrieb schon Nestroy im Kometenlied: „Die Wöd steht auf kaan Fall mehr lang!“ Wenn jetzt all diesen Menschen auch noch einfiel, so wie der Melzer außerhalb der Saison auf die Sonneninsel zu fahren, na dann gute Nacht mein Freund!

 

Kroatien bietet soooo viel, oder vielleicht ein Flug zu den alten Griechen?? Auch Mallorca soll immer noch sehr schön sein, oder fahrt wenigstens weiter in Richtung Süden, ab Lignano gab es Strände ohne Ende, aber biegt bitte nicht bei Palmanova ab. Bitte!!

Bilder im Kopf!

 

Ein Forscherteam der südenglischen University of Essex bereitete dem Melzer eine ziemliche Enttäuschung. So sehr hatte er sich darauf gefreut, dieses Jahr endlich zum „langweiligsten Menschen“ dieses Planeten gewählt zu werden, doch wieder nix, das Rennen machte ein einsilbiger Datenbearbeiter einer x-beliebigen Kleinstadt!

 

Andere wären froh, wenn dieser Kelch an ihnen vorüberzöge, nicht jedoch der Melzer. Dabei hatte er dieses Mal die Bewerbungsunterlagen so sorgfältig ausgefüllt und beantwortet. Eine intensive Befragung durch das Forscherteam versuchte er durch gezielte Antworten zu beeinflussen, um im Ranking der Langweiligkeit ganz nach oben zu rutschen. So z.B. bei der Frage nach den Freizeitbeschäftigungen: Schlafen, Tiere beobachten, ständiges Nörgeln, Humorlosigkeit. Ja nicht einmal seine ewigen Vorurteile gegen sich selbst und den Rest der Welt konnte er zu seinem Vorteil einsetzen. Was für eine Niederlage!

 

Was den Menschen nach Italien treibt?

 

Das Meer, ein gutes Glas Weißwein, Gelato, gute Pasta, Espresso – nur ein Bruchteil dessen, was wir mit Italien verbinden. Dann kam Corona mit seinen erschreckenden Bildern, was die Liebe und Solidarität zum südlichen Nachbarn nur noch vertiefte.

 

Als die Welt vor einigen Jahrzehnten noch kein Dorf war, galt schon die Fahrt nach Tarvis, oder vielleicht sogar bis ans Meer als Fernreise. Zuerst über den Wechsel oder den Semmering, denn Autobahn gab es noch keine. Dann kam die Pack, und der Melzer musste den ersten Baum umarmen, weil ihm schon so schlecht auf dem Rücksitz wurde. Die Ausstellfenster simulierten eine nicht vorhandene Klimaanlage, aus dem Kassettendeck des Autoradios ertönte sonderbare Musik, die der Melzer damals noch nicht zuordnen konnte.

 

Erste Gehversuche ins Sachen Fremdsprache, ein Eis bestellen, allein schon der Versuch ein Abenteuer. Der Sand am Strand zu Mittag so heiß wie die nicht klimatisierten Zimmer in der Nacht. Und nächtliche Gelsen hätten es sich ersparen können, in der Erinnerung aufzutauchen.

 

Inzwischen zog die Zeit an Haar, Haut und Gesundheit, viele abgebrochene Sprachkurse lagen hinter einem, aber die alte Liebe blieb! Auch, wenn man mittlerweile manche der kleinen Freudenspender in unseren Breitengraden qualitativ gleichwertig genießen kann, Fakt ist: Kaffeetrinken ist die erste Lektion vor Ort in Sachen Lebensqualität und Lässigkeit. Als Besucher des Landes wird man wohl ein Leben lang schon beim Espresso-Trinken ein blutiger Amateur bleiben. Das können sich auch gerne die ganzen Scheinlässigen in der Bar Campari in Wien hinter die Ohren schreiben. Die Grandezza bleibt zum Glück den Italienern vorbehalten!!

La Piazza

 

La Piazza ist wahrlich viel mehr als nur ein öffentlicher Raum. Sie hat so viele verschiedene Funktionen, jedoch ihre wichtigste: Sie kann einen Ort, ein Dorf, ja selbst eine Stadt vor dem Verlöschen retten. Und damit die Menschen vor der Vereinsamung!

 

Bis zum Verfassen der vorliegenden Zeilen hatte der Melzer zwischen Tarvis und Capri noch keinen Ort erlebt, in dem „die Piazza“ nicht den zentralen Punkt im sozialen Leben der Menschen darstellte. Da gab es unscheinbare Plätzchen, wo gerade einmal zwei, drei ältere Menschen auf einer steinernen Bank über die Vergänglichkeit und die Frisur der vorbeigehenden Nachbarin parlierten, aber auch nahezu imperiale Plätze mit ihren Kirchen, Hotels, Palästen, unzähligen Cafés und dem Gewusel der dort anzutreffenden Menschen. Lebendiges, italienisches Theater war es stets! In vielen Orten wurde die Piazza wiederkehrend zum Schauplatz des Wochenmarktes, eine ganz wichtige Institution des sozialen Lebens in Italien. Ganz abgesehen davon, dass man dort herrliches Gemüse, gereiften Käse und sonstige Leckereien bekommen kann.

 

Eine „richtige“ Piazza, und sei sie noch so klein, hat einen Brunnen und eine Statue in der Mitte. Auf der Piazza werden Neuigkeiten ausgetauscht, politische Entscheidungen gelobt oder verdammt, Freundschaften geschlossen und Feindschaften ausgefochten. Einsam ist nur der, der allein bleiben will.

April / Saisonstart / Rituale

 

Hinlänglich bekannt war der Umstand, dass es der Melzer bevorzugte, außerhalb der Saison an die nördliche Adria zu fahren, die unzähligen Gründe, die dafürsprachen, sind bereits bekannt, inkl. der erwachenden Natur.

 

Der eigentliche „Saisonstart“ erfolgt auf der „Sonneninsel“ Grado zumeist eine Woche vor dem Palmsonntag. Mit den Osterferien zieht die erste Karawane an Sonnenhungrigen in Richtung Süden, Zeit dafür, dass a) der Melzer flüchtete und b), dass die touristische Infrastruktur wieder in die Gänge kam. Doch bis 3 Tage vor Inbetriebnahme tat sich nahezu gar nix, 2 Tage vorher begannen die Maler mit den notwendigen Adaptierungen an div. Gebäuden, es startete das Einräumen der Geschäfte, das Putzen der Schanigärten, bis sich endlich einen Tag vor Saisoneröffnung Betriebsamkeit breit machte. Aber einen Aggregatszustand kennen die südlichen Nachbarn sicher nicht, und das war Hektik!

Rilke

 

R.M. Rilke zu lesen ist eine Herausforderung, die den hartgesottenen Melancholikern vorbehalten bleibt. Einige Zeit verbrachte er auf Schloss Duino der Familie Thurn & Taxis. Dort schrieb er einen Teil der „Duineser Elegien“, dort suchte er Inspiration entlang der wunderbaren Küste, eine bizarr-schöne Landschaft, wo der Karst bis in den Golf von Triest reichte. Auf seinen Spuren lässt sich auch heute noch wunderbar wandeln, dafür sorgte der Rilkeweg zwischen den Orten Duino und Sistiana. Im April blühte & duftete es an allen Ecken und Enden, paarte sich dies mit der sonnengewärmten Luft des Meeres, dann brauchte man keine zusätzlichen Rauschmittel mehr. Aus jeder Ritze kroch eine blühende und duftende Schönheit, unter sich das glitzernde Meer, ein Anblick, von dem man sich nur schwer wieder lösen konnte. Einfach genießen!

07:00 Uhr morgens

 

Melzer, ein großer Freund und Liebhaber der morgendlichen Unschuld, trabte seit unzähligen Jahren mit Leidenschaft und mitunter mit hinkenden Gliedern entlang der Strandwege rund um den halben Ort, um den Tag, das Meer, einige Hunde und so manchen Einheimischen zu begrüßen.

 

Das Meer säuselte, die Möwen kreischten und die erwachende Sonne tauchte die Steine der Uferbegrenzung in tiefes ROT. Entlang mancher Häuser mischte sich der Duft frischer Cornetti mit dem salzigen Aroma des Meeres. Nach den paar Kilometern dieser Strecke genoss er das Frühstück doppelt, war das Wetter tatsächlich einmal schlecht, hatte dies auch seinen absoluten Reiz. So oder so sollte ein Tag am Meer beginnen!

Neues aus der Wühlkiste:

Andrea Camilleri / „Das Ende des Fadens“

 

Camilleri, geistiger Vater des Commissario Montalbano, starb im Sommer 2019, und dem Melzer geht es auch schon ganz schlecht. Aus dem Grund, weil der ruhelose Schreiber zwar einige unveröffentlichte bzw. noch nicht übersetzte Manuskripte für weitere Geschichten über den schrulligen Polizisten hinterließ, diese jedoch demnächst leider auch zu Ende gehen werden. Max. 4 Romane werden in den nächsten Jahren noch veröffentlicht, es grauste dem Melzer jetzt schon vor den letzten Seiten des allerletzten Bandes, so sehr war im Montalbano ans Herz gewachsen.

 

In der aktuellen Übersetzung mit dem Titel „Das Ende des Fadens“ befasste sich der Autor auch sehr intensiv mit der Problematik der Flüchtlinge, die auf unvorstellbare Art und Weise den Weg nach Europa/Italien via Boot/Schiff/Nussschale gesucht hatten. Obwohl es in den Büchern über Montalbano bisher jedes Mal viel Unterhaltung gab, auch die typisch italienische Lebensweise gerne ein wenig auf die Schaufel genommen wurde, blieb einem in diesem Buch manchmal das Lachen im Hals stecken. Und gerade deshalb ist „Das Ende des Fadens“ an dieser Stelle eine Pflichtvorstellung.

 

Antonello Venditti

 

Venditti, gebürtiger Römer (JG 1949), gelangte im Zuge der Studentenbewegung Ende der 60er-Jahre gemeinsam mit Francesco Di Gregori und Lucio Dalla zu Berühmtheit. Mit seiner Heimatstadt Rom verbindet ihn eine treue Freundschaft, die Konzerte mit den meisten Besucher*innen fanden stets in der ewigen Stadt statt, sei es schon mehrmals im ausverkauften Olympiastadion oder 1983 sogar im legendären Circo Massimo vor über 100.000 Zuseher*innen.

 

Das Publikum dankt ihm diese Treue stets dadurch, dass jede Zeile eines jeden Liedes aus vollem Hals mitgesungen wird, was seinen Livealben noch einen zusätzlichen Reiz verleiht.

 

Aktuell steht eine Zusammenarbeit der „alten“ Liedermacher Venditti/Di Gregori auf dem Programm, noch dieses Jahr wird der gemeinsame Longplayer erwartet. Einen Querschnitt durch sein musikalisches Schaffen mit unzähligen, schönen Melodien darf Euch der Melzer mittels der nachfolgenden Playlist präsentieren:

Pete Doherty & Frédéric Lo / „The Fantasy Life Of Poetry And Crime“

 

Doherty, bekannt für seine unzähligen Exzesse, dürfte, seit er sich in der Normandie niedergelassen hat, ein wenig zur Ruhe gekommen sein. Nachdem er 2019 seine neue Band Peter Doherty & The Puta Madres samt gleichnamigem Album vorstellte, hat er sich für seine nächste Veröffentlichung gleich wieder einen neuen, musikalischen Partner gesucht - den französischen Musiker, Komponisten, Arrangeur, Musikproduzenten und Liedermacher Frédéric Lo. Der, übrigens, 2019 ein bemerkenswertes Album namens „Hallejulah!“ veröffentlicht hat.

Zwölf Songs haben sie für das Album geschrieben. Die Texte stammen von Doherty, die Musik von Lo, der auch die Produktion übernahm. Aufgenommen wurde die Platte in Cateuil, Étretat (Normandie) und im Studio Water Music in Paris. Doherty lebt seine Paraderolle als tieftrauriger Straßenpoet aus, der dem Ganzen Ecken, Kanten und einen Hauch von Morbidität verleiht. Eine spannende und sehr frankophile Mischung! Schon jetzt ein Album des Jahres 2022!!

Übrigens ist der Melzer nach wie vor der Meinung, dass man keine Produkte des Nestlé-Konzerns kaufen sollte. UND auch die Produkte des RED BULL-Konzerns sollten zunehmend gemieden werden. Dort beginnt etwas zu keimen, worauf man auf keinen Fall stolz sein sollte.

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Kommentare: 1
  • #1

    Doris (Samstag, 16 April 2022 15:44)

    Danke Peter für deine immer wieder so "italienischen" Reiseberichte!! Es ist eine wahre Freude, literarisch mit dir in Gedanken durch Straßen und über Piazzas zu spazieren. Und dann noch die Playlist zu genießen.
    Grado und Melzer gehören einfach zusammen!
    Gruß Doris