(Melzer bricht sein Schweigen und redet erstmals über den
Schmid...)
Endlich und eigentlich sogar ungeniert kann ich die Gelegenheit ergreifen, die Beziehung zu meinem Verfasser ein wenig näher zu erläutern. Ehrlich gesagt, eine meiner Schwächen besteht ja darin, kein Gedächtnis für Daten und Zahlen zu besitzen, vielleicht aufgrund meines vagen, virtuellen Alters, daher kann ich den Beginn dieser sonderbaren Verbindung nur schätzen. Es muss wohl 1994 oder 1995 gewesen sein, als der Schmid beschloss, mich quasi als sein „Alter Ego“ einzusetzen.
Warum er dies getan hat und bis heute noch tut? Einerseits, weil er Doderer nach wie vor verehrte, auf der anderen Seite kann ich eigentlich zu dieser Frage leider keine klare Antwort bieten, es mag während dieser ganzen Schreiberei ja durchaus Momente geben, wo den Verfasser die Beschäftigung mit einem „fremden“ Werk vor der eigenen Mühsal erlöst – dies sei ihm dann wieder durchaus zugestanden!! Ein passendes Zitat (davon später noch mehrere…) fiele mir zu Fantastereien dieser Art auch gleich ein: „Die Wahrheit ist ja bekanntlich eine widerliche Arznei, man bleibt dann gleich lieber krank!“ (August von Kobebue)
Sollten die nachfolgenden Zeilen wie eine späte Abrechnung wirken, dann ja, aber nur zum Teil. Nach so vielen Jahren dürfte es nur recht und legitim sein, auch aus meiner Sicht einen satirischen Blick auf den Verfasser und diese Zweckgemeinschaft zu richten, „zwicken“ darf es dabei ruhig ein wenig.
Eines musste man dem Schmid ja lassen, zu verbergen gab es eigentlich nichts in seinem Lebenslauf, also nix mit Nestroys "Frühere Verhältnisse", die Herkunft war bekannt. In stiller Zweisamkeit hat er mir gestanden, dass er sich in einem einzigen, konkreten Fall gerne für sein damaliges Verhalten entschuldigen möchte, obwohl ihm hier das Langzeitgedächtnis wahrscheinlich schon einen Streich spielte. Doch da die betroffene Person schon lange nicht mehr unter uns weilte, keine Möglichkeit dazu. Weitere Fälle solcher Art nicht bekannt, es wurde daher die Akte geschlossen.
Jetzt einmal ganz ehrlich, der Schmid hätte ja viel mehr aus sich - und damit letztlich auch aus mir – machen können! Rufzeichen! Konnte er nicht, oder wollte er nicht? Leider war bei ihm eher Zweiteres zu befürchten, da zog sich was wie ein roter Faden durch sein bisheriges Leben. Vielleicht sollte man, liebe LeserInnen, diese Zeilen und deren Inhalt vor Heranwachsenden auf alle Fälle fernhalten, vorbildhaft waren sie keineswegs. Es war ja auch nicht so, dass er sich im falschen Umfeld bewegte. Da gab es Menschen rund um ihn, die ein absolutes Gehör ihr Eigen nannten und hochmusikalisch waren, die in Sportarten nahezu perfekt waren, die aus Tierhäuten wunderbare Dinge herstellen konnten, die Studienabschlüsse wie Briefmarken sammelten, aber...
Schon seit Schultagen, und obwohl es ihm nie eingeimpft worden war, folgte er Zeit seines Seins dem Prinzip aus dem Roman von Joseph von Eichendorff mit Titel „Aus dem Leben eines Taugenichts“, obwohl er das Buch erst viele Jahre nach seiner persönlichen Werdung zum ersten Mal in die Hand genommen hatte.
Warum anstrengen, wenn es einfacher auch ging? G’scheit sein wollen ja, aber sich dafür bemühen müssen? Die Karriereleiter nach oben eilen? Wozu? Die Ellbogen ausfahren? Nicht sein Ding! „Lieber ein guter Zweiter sein, als ein schlechter Erster!", rief er gerne in die Welt hinaus, und schlecht war er mit dieser Lebensphilosophie bisher nicht gefahren. Böse Zungen täten jetzt an dieser Stelle behaupten „sich selbst im Wege gestanden, aber nie darüber gestolpert“.
Dennoch schade, denn einige Talente blieben dabei auf der Strecke. Sprachen liebte er, lernen wollte er sie nicht. Seine mittlerweile verkümmerten Schul- und Kurskenntnisse erreichten peinliche Ausmaße, selbst simple Vokabeln mussten manchmal bereits gegoogelt werden. Er verstand sehr VIELES, doch er sprach es nie aus...
Im Schülerbeschreibungsbogen aus grauer Vorzeit stand zu lesen „neigt zum Klassenkasperl“, im Dienstzeugnis (ja, liebe Jugend, so etwas gab es einmal tatsächlich...) seiner ersten Werbeagentur fand sich wiederum folgender Satz: „Mit seiner Vifheit, Schrulligkeit und seinem Sinn fürs Komische ist Herr Schmid prädestiniert für einen kreativen Betrieb". Damals war er gerade einmal 22 Jahre alt - "mit seiner Schrulligkeit", ts ts. Womit nur wieder bewiesen wurde, dass sich Persönlichkeiten über Jahrzehnte ständig verändern! Und nicht immer zum Besseren.
Die Fotografie! Sich mit goldenen Regeln, Blenden und Belichtungszeiten zu befassen – viel zu aufwendig. Entweder das Motiv ergab sich, der Schnappschuss passte, oder er ließ es gleich komplett bleiben. Punkt, aus! Musikalische Begabung? JA! Diese wurde ihm durchaus apostrophiert, aber Geduld bei den Übungen? Die „langwierige“ Beschäftigung mit der Theorie, das Lernen der Noten, das sich über Stunden ziehende Üben von Taktfolgen? Nö! Selbstverständlich ALLES dringend notwendig, um wahrlich Gut zu sein.
Die Philosophie macht sich bis heute gerne darüber lustig, dass Menschen dazu neigen, sich vom Leben (viel) zu viel zu erwarten. Die Erwartungshaltung vom Schmid war schon von jeher eine vorsichtige, vielleicht auch elterlich vorgegebene, dadurch hielten sich dann auch seine persönlichen Enttäuschungen in Grenzen! Bähhh…
Noch einmal kurz zurück zu den „musischen“ Dingen des Lebens, natürlich litt er an seiner Mittelmäßigkeit, aber die Entschlossenheit dies zu ändern, die blieb fern. Wohl selber schuld! Wieder am Schlagzeug sitzen, ja, aber aufwendig. Vielleicht die Cajon? Auch gut, aber wird rasch langweilig. Djembe, Congas?? Immer wieder gerne, aber letztlich fehlte ihm für echte Qualität jegliche Konsequenz.
Einen kleinen, eher bedeutungslosen „Ausreißer“ gab es da, der sogar den Schmid aus seiner Mittelmäßigkeit herausschleuste, aber bitte seht dies als ironischen Seitensprung. Wie wir noch ca. fünf Absätze später erfahren werden, er ging gerne. Und bei dieser Tätigkeit war er tatsächlich gut, zumindest wurde ihm dies von seiner Fitness-App bescheinigt. Seine Schrittanzahl lag aktuell (Dez. 2019) über der von knapp 93 % der gesamten Nutzer, damit im absoluten Spitzenfeld und weit weg von jeglicher Mittelmäßigkeit. Was zwar ein wenig verwunderlich anmutet, aber auch nur beweist, dass die Leute da draußen zwar solch' zeitgeistmäßigen "Schnickschnack" benötigten, aber die Lust daran sehr schnell wieder verloren. Eh, wie immer! Nau? Die Trägheit, liebe 93 % wurde auf dem Läuterungsberg der „Göttlichen Komödie“ von Dante Alighieri auf der vierten Terrasse bestraft, dort müsst Ihr dann immer und immer und immer rennen, also rastlos Eure ewige Buße tun.
"Sein Langes" diente "beim Gehen" als Vorbild, ein Freund auf Lebenszeit, knapp 2 m groß und mit einer Schrittlänge, die doppelt so lang war wie die von ihm. Der knackte natürlich locker die Marke vom Schmid und war dabei auch stets gute 500.000 Schritte voraus, ein nicht zu erreichendes Vorbild! Ihm sei auch das folgende Gedicht vom frischgebürsteten Nobelpreisträger in Sachen Literatur gewidmet:
"Entscheide nur begeistert. Scheitere ruhig. Vor allem hab Zeit und nimm Umwege. Überhör keinen Baum und kein Wasser. Kehr ein, wo du Lust hast, und gönn dir die Sonne. Vergiss die Angehörigen, bestärke die Unbekannten, bück dich nach Nebensachen, weich aus in die Menschenleere, pfeiff auf das Schicksalsdrama, zerlach den Konflikt. Beweg dich in deinen Eigenfarben, bis du im Recht bist..."
Eigentlich müsste ich mich ja sehr geschmeichelt fühlen, dass mich der Schmid schon so lange und so umtriebig veröffentlichte, ja er konnte sogar mit „unseren“ Einträgen über die Jahre eine durchaus erquickliche Anzahl an LeserInnen unterhalten. Auch hier wäre natürlich wesentlich mehr möglich gewesen, aber es gibt ja zulässige und unzulässige Formen der Unvollendetheit, suchen wir uns in Ruhe aus, auf welche Seite er denn gehört!
Wenn er schon seine Blogseite „Reisemusik / Musikreise“ taufte, dann sollte diese natürlich auch über Erlebnisse außerhalb der eigenen vier Wände handeln. Tat sie ja auch,
die Blogseite, und doch bemerkte ich beim Schmid eine zunehmende Abneigung gegenüber dem Reisen an sich, sichtlich beruhend auf den Völkerwanderungen des heutigen Massentourismus. „Ich fahre
nicht gerne fort, bin aber dann doch gerne weg. Bin ich endlich dort, freue ich mich nach einiger Zeit wieder auf zu Hause.“ So tickte er, der Schmid.
Was er hingegen liebte war das Spazieren! Auch da kamen durchaus Kilometer zusammen, wichtigster Faktor war aber dabei stets die Zeit. Da war der Melzer ganz beim amerikanischen Philosophen H.D. Thoreau, der sogar das Essay „Vom Spazierengehen“ darüber verfasst hat. Spazieren ist nicht etwas, das man tun muss. Keine große Herausforderung für den Willen, aber sorgsam spazieren zu gehen verlangt eine Aufmerksamkeit für die Gegenwart, die sehr schwer aufrechtzuerhalten ist und vielen Menschen von vornherein fehlte.
Für den Schmid liegt stets in dieser Bewegungsform durchaus etwas Heiliges. Das Erhabene im Gewöhnlichen zu erfahren.
So, und damit wohl genug gesagt, oder noch nicht ganz! Ein wenig Sorge bereitet mir schon, dass er in letzter Zeit Anzeichen von Melville's Bartleby an den Tag legte, also unter dem Motto "I would prefer not to". Denn der zwar fleißige, aber eher einseitig orientierte Bartleby verweigert bekanntlich am Ende der Geschichte alle Kommunikation & Nahrung. Soweit wird es beim närrischen Schmid ja hoffentlich nicht kommen. Er wird mir die Zeilen wohl eher nachgesehen haben, löschen hätte er sie zwischenzeitlich längst können. Grundsätzlich sind wir ja kein so schlechtes Team. Ob er bei der Lektüre dieser Zeilen auch noch so denkt? Na, schauen wir mal…
Damit zur Wühlkiste, einem seltsamen Konglomerat, das mein Verfasser dafür nutzte, um kulturelle Tipps loszuwerden, die ihn persönlich wirklich & wahrlich beschäftigten. Also natürlich subjektiv, denn die Objektivität gab es entweder gar nicht, oder sie war wahrlich ganz wenigen Menschen urteilslos vorbehalten! Diese zu kennen, war wohl kein Privileg!!
Mariss JANSONS war ein Großer. Und er hinterließ ganz wichtige Worte: "Wenn wir den Menschen keine Kunst mehr bieten und keine Religion, werden sie sich wieder zu Affen entwickeln: ESSEN, AUTOS, HÄUSER, schönes LEBEN, SCHLUSS! Dass wir im 21. Jahrhundert geistig so NIEDRIG stehen, macht mir echt ANGST!"
Leonard Cohens bereits posthum erschienenes Album „Thanks For The Dance“ konnte durchaus als REISE INS LICHT bezeichnet werden. Keine Restlverwertung im oftmaligen Sinn, nein, sondern ein geniales 15. Studioalbum zum Abschied. ANhören! Bestmöglich gleich im Verbund mit dem Vorgänger „You Want It Darker“.
Und dann haben wir da noch Andre Hellers-Alterswerk „Spätes Leuchten“ mehrmals aufmerksam gehört. Diese Platte war bis auf wenige Ausnahmen schön! Entweder, er
ging einem auf den Nerv, oder nicht. Uns, also dem Schmid und mir, nicht! Letztlich waren doch die eher "UNbequemen" dafür verantwortlich, dass wir das eigene Hirnkasterl wieder in Betrieb nehmen
müssen. Raus aus der gedanklichen Komfortzone, rein ins Ungewisse! Schadet uns nicht, also gleich ein Tipp fürs 20er-Jahr.
Wenn auch schon vorher erwähnt, das Essay „Vom Spazierengehen“ von H.D. Thoreau, verfasst vor über 160 Jahren, fesselt noch immer. Bitte ausprobieren!
Noch ein paar weitere Tipps für Anfang 2020, damit es ja nicht langweilig
wird:
Jovanotti, alias Lorenzo Cherubini, italienischer Liedermacher, hat ein wahrlich entspannt & entzückendes Album auf den Markt gebracht, das sich ausschließlich dem Thema MOND widmet. Mitten drin eine handgestrickte, wundervolle Coverversion von Lucio Dallas "L'Ultima Luna".
"Das Bücherhaus", eine philosophische Liebesgeschichte von John KAAG, sie hat durchaus ein wenig zur gedanklichen Erweiterung vom Schmid beigetragen, schwer genug, ganz ohne Schmäh!! Bei Interesse eine Möglichkeit, einige amerikanische Philosophen kennen zu lernen, es gab sie tatsächlich.
Das unfassbare Meisterwerk von Dante Alighieri, die "Göttliche Komödie", feierte sein knapp 700jähriges Jubiläum. Kaum zu glauben. Eine Reise durch die drei Reiche der Toten. Allein die Terrassen des Läuterungsberges sollten wir uns hinter die Ohren tätowieren lassen. Und keine pseudoesoterischen Floskeln zum späteren (nicht möglichen) AUSradieren. Es büßen die Stolzen, die Neider, die Zornigen, die Trägen, die Habsüchtigen und die Maßlosen, ja, sie sollten es durchaus heute noch tun. Die "liebe" Menschheit, sie wird es wohl nicht mehr auf die Reihe kriegen.
Am Ende dieses Eintrags noch einen kleinen Ausfallschritt zum Thema Schreibgewohntheiten. Liebe Menschen da draußen, es tut sich keine(r) weh, wenn er/sie auch bei sogenannten Kurznachrichten die Gepflogenheit der Höflichkeit in Anspruch nehmen würde, um zum Beispiel alle heiligen Zeiten einmal eine persönliche Anrede zu verwenden. Was sich da auf den heutigen digitalen Schmierzetteln abspielt, geht ja wohl auf keine Kuhhaut mehr!!
PS: Möge dieser Eintrag die ewig gestrengen Lektoren nicht erblinden oder sich abwenden lassen! Selbst wenn Zeiten und Grammatik durcheinanderwirbelten wie nur was. Außerdem waren, sowohl der Schmid als auch ich der seltenen, einheitlichen Meinung, dass man Produkte des Nestlé-Konzerns nach wie vor nicht kaufen sollte.
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Helga (Montag, 30 Dezember 2019 20:58)
Ziemlich schrullig, lieber Freund. Doch sehr amüsant und ausgezeichnet formuliert!
Heidi Mann (Dienstag, 31 Dezember 2019 01:02)
Lieber Peter, lieber Melzer,
danke für die Ein- und Rückblicke zur Jahreswende, viele Gedanken lassen sich aufgreifen.
Ich wünsche dir ein gesundes, fröhliches und zufriedenes neues Jahrzehnt mit allen Möglichkeiten, deine Vorlieben auf allen Ebenen - auch ohne Perfektion, dafür umso genussvoller - auszuleben. Ich freu mich auf weitere Texte, traumhafte Fotos und Empfehlungen literarischer und musikalischer Art, danke! (Die Heller-CD hat mir das Christkind gebracht.)
Manuela und Alex (Dienstag, 31 Dezember 2019 08:21)
Lieber Peter, servus Melzer,
Danke für euren neusten Beitrag, der wieder amüsant zu lesen und mit wunderschönen Bildern ausgestattet ist! Es ist immer wieder eine Augenweide welche schöne Plätze "ihr beide" hier gekonnt in Szene setzt!
Wir wünschen euch das Allerbeste für ein glückliches und gesundes neues Jahr 2020!
Liebe Grüße
Manuela und Alex