Misstraue den Gezeichneten - eine Ver(w)irrung...

Juli 2016

Der Melzer hatte es wieder getan!  In geregelten Abständen suchte er das Gasteinertal heim, um seinen Blick-/Bodenabstand wieder ein wenig zu vergrößern. Was ihm Grado & Meer, Irland & Seele, war ihm Hofgastein & die Berge.

 

Wenn man einmal gute 2 Jahre seines Lebens zwischen den Gipfeln der Tauern verbracht hatte, konnte es schon passieren, dass sich spätestens am Abend des Ankunftstages ein Gefühl der zeitlichen Verwirrtheit einstellte. War man jetzt tatsächlich so lange nicht mehr hier gewesen? Konnte dies sein? Oder kam man eh nur vom Wäschewechsel?

 

Bevor jetzt der Melzer von der werten Leserschaft als endgültig engstirnig abgestempelt wird, was ja durchaus legitim war, natürlich gab es auch für ihn noch Ziele auf der Welt, die eventuell erstrebenswert waren, aber er hasste Flughäfen, mehr oder weniger, vielleicht eine beginnende Alterserscheinung. Der Melzer hielt es wie der verehrte Hr. Stefan Slupetzky, der da sagte: "Ich bin gern weg, aber ich fahre nicht gern weg. Und wenn ich dort bin, mag ich nicht mehr zurück. Aber wenn ich da bin, mag ich auch nicht weg!"

 

Um Knochen und Muskeln ein wenig aufpeppen zu können, "musste" man sich in eine sogenannte Anstalt begeben. Und in dieser Anstalt gab es halt einmal ein Reglement, um die bunt zusammengewürfelte Schar von "Gezeichneten" ein wenig im Zaum zu halten. Der Melzer war Anstalt, Regeln und die wechselnde Schar seit Jahrzehnten gewohnt, hatte zumeist auch kein Problem damit. An vieles hielt er sich, an manches nicht, seine kleinen "Fluchten" schaffte er sich schon, wichtig war ihm nicht nur der korrekte Umgang mit seinen Mitmenschen, sondern auch mit sich selbst. Obwohl schon so viele Male im Tal, spürte er, von welcher Bedeutung diese Aufenthalte, die Wochen in der Anstalt und das Mitleben im Ort und in der Nähe der Berge waren. Er konnte sich wieder motivieren, ein wenig quälen, sich in den richtigen Momenten einschränken und nach nur wenigen Wochen zeigte sich bereits der Erfolg. Es ging noch immer was weiter, er kam wieder spürbar in Schuss, nahm ab, fühlte sich fit! 86 Behandlungen und 3,5 kg weniger zeigten ihre Wirkung.

 

Kleiner, zeitlicher Rückblick: 1984 erfolgte Melzers Erstkontakt mit dem Tal, der Anstalt & der bunten Schar. Ein junger Spund war er damals, nahe der Depression, ungewohnt die gesamte Situation von A - Z. Es rettete ihn ein wahrlich frühlingshafter April, unglaublich liebe TherapeutInnen & ein schrulliges Lokal auf der Sonnenseite des Tales. Pirnbacher hieß es und heißt es noch heute! Zufluchtsort für den jungen Melzer, als Tarnung einen Hermann Hesse unter dem einen Arm, einen Walkman-Vorläufer unter dem anderen, der damals noch so groß war wie eine Schuhschachtel, darin eine sogenannte Audiokassette mit 2 x 45 Minuten Musik, darunter das wunderbare "Wenn der Sommer nicht mehr weit ist" von Konstantin Wecker. Selten passte ein Lied so perfekt zu den sonnigen Nachmittagen auf der Terrasse des Pirnbacher, der Melzer in Wolldecken eingewickelt, die Musik & den Text im Ohr, einen köstlichen Obststrudel vor sich auf dem Tisch. Wie Deckel & Topf, der Blick schweifte über das Tal hinüber auf den Stubnerkogel, im April noch mit einem Schneehütchen auf dem Gipfel. Das Lied war der Wahnsinn im warmen Sessel. Wecker, damals jung & knackig, sang sich durch Sätze, die nur so trieften vor Lebensfreude und Lüsternheit: "Nur man darf nicht träge sein und darf nicht ruhn, denn Genießen war noch nie ein leichtes Spiel!"

 

Hier das Original zum Nachhören, wie damals:

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01-09- Wenn der Sommer nicht mehr weit i
MP3 Audio Datei 4.7 MB

Doch trotz der Schönheit des Tales und seiner Berge kann eine "leere" Bühne nur begrenzt das Interesse fesseln. Es bedarf menschlicher Akteure, um Dramatik zu erzeugen! Dabei wird sofort klar, dass es sich nur um Statisten handelt, man könnte auch sagen um die mobile Erweiterung dieses Bühnenbilds. Da dieses imaginäre Stück nun bereits über 32 Jahre aufgeführt wird, wechseln die Statisten natürlich nahezu ständig. Einige wenige von ihnen kommen immer wieder vor, dazu zählte sich der Melzer auch selbst. Doch die meisten Statisten wechseln sozusagen von Aufenthalt zu Aufenthalt, doch trotz des langen Aufführungszeitraums veränderten sich einige Verhaltensmuster nur selten, an einigen wenigen Beispielen, es soll ja auch nicht langweilig werden, nachstehend kurz umrissen:

 

D e r   V e r w e i g e r e r

Stets anzutreffen, unabhängig vom Geschlecht. Verweigert bereits beim Ankunftsgespräch ALLES, motzt bis in die tiefe Nacht hinein und ist Spezialist in Sachen "Haar in der Suppe". Kann zwar wunderbar über die eigenen Wehwehchen lamentieren, sieht jedoch in allen anderen Patienten den typischen Tachinierer. Jede Anwendung kommt zum falschen Zeitpunkt, das Personal ist immer eine Ka·ta·s·t·ro̱·phe, übers Essen müssen wir gar nicht diskutieren und die Zimmer sind ein Witz. Sucht natürlich permanent und krampfhaft nach Verbündeten, denen das Gesudere aber nach ein paar Tagen selbst auf die Nerven geht. Der Melzer durfte vor zwei Jahren die sympathische Form des Verweigerers kennenlernen, der zwar überhaupt nicht motzte, aber während seines Aufenthalts ganz eigene Regeln aufstellte:

 

Intern "der schöne Ludwig" (Name von der Red. geändert ;-)) genannt, war ein tapsiger 100-Kilo-Mann, entstammte irgendeinem verarmten, steirischen Adelsgeschlecht und wusste die ersten beiden Tage in der Anstalt überhaupt nicht, wie ihm geschah. Dann entdeckte er im Zentrum das "Haus Austria", ein liebes, altes Restaurant mit guter Küche, die noch dazu seinen Lieblingsriesling vorrätig hatten. Ab diesem Moment verweigerte der Ludwig das Anstaltsessen und firmierte, so oft es möglich war, im Restaurant, egal, zu welcher Tageszeit. Ein charmanter Alkoholiker, dem jeder guter Ratschlag am A... vorbeiging. Bestien wie unten beschrieben übersah er völlig. Den einen oder anderen Abend mit dem Ludwig im Haus Austria hatte der Melzer sehr genossen, die Lachsforelle oder ein Saibling gehörten zu den Fixpunkten von ihm während der Wochen im Tal.

 

D i e   D o r f g a t s c h n / B a s s e n a w e i b e r

Wie die Überschrift schon verrät, zumeist weiblich! Diese Spezies findet in kürzester Zeit, ev. gleich am Ankunftstag, bundesländerübergreifend zueinander. Therapiepläne werden wissenschaftlich zerlegt und in stundenlangen Gesprächen analysiert. Sie suchen sich mit Zielsicherheit die Plätze am Ende des Speisesaals, um das Geschehen völlig unter Kontrolle zu haben. Von diesen strategischen Plätzen aus lassen sie an ihren MitpatientInnen wahrlich kein gutes Haar, sie verbreiten einen bösartigen Mix aus Halbwahrheiten, Lügen und Gerüchten, biedern sich mit wechselhaftem Erfolg ekelhaft am Personal an, um weitere Verbündete zu gewinnen. Die Obrigkeit fürchten sie wie der Teufel das Weihwasser, geschimpft wird jedoch auch über den Teufel! Was dem Melzer auffiel, die glichen sich spätestens nach zwei Wochen auch optisch an! Kurz vor der Heimreise konnte man die gar nicht mehr voneinander unterscheiden...

 

D i e   S e l b s t d a r s t e l l e r

Sie reisen mit der kompletten Kombi an, also Fahrrad, Tennisracket, Schi, Paragleitschirm und den erforderlichen Apps zur Leistungsaufzeichnung. Sind dann verwundert, dass nach ihrer Bandscheibenoperation etc. der Arzt die Verwendung dieser Utensilien untersagt, wenden sich aber sofort neuen Aufgaben zu. Verwechseln die Anstalt mit einem sportmedizinischen Institut, erkennen den Sinn einer Rehab nicht. Kleinhirn an Großhirn spielt's ned! Nach wenigen Tagen nisten sie sich wie Parasiten im großen Therapieraum ein, belagern Standfahrräder und Kraftgeräte, verschwitzen die Atmosphäre und tauschen sich laufend über die gesteckten Ziele aus. Am Wochenende sind sie zumeist auf den Gipfeln der umliegenden Berge zu finden, am Abend werden konspirativ neue Routen für einen Powerwalk eruiert.  Diese Gruppe war nicht nur an den stets verschwitzten Funktions-T-Shirts zu erkennen, sondern auch an optischen Besonderheiten, wie unten in der nächsten Gruppe beschrieben.

 

Eine Seitenlinie der Selbstdarsteller waren die medizinischen Alleswisser. Sie ordinierten in jeder Wartezone, im Speisesaal und bei abendlichen Spaziergängen. Vor ihnen musste man sich besonders hüten, denn sie waren lästig und anhänglich wie die Kletten. Die einzige Spezies, die man im Speisesaal am Gang erkannte, Fersengeher, bei denen der Boden vibrierte. Gerne leidend, reisen zumeist mit einer Gastritis an, fühlen sich überwiegend überfordert und wechseln ständig die Therapeuten, weil man die Wahrheit nicht verträgt.

 

T a p e s   &   T a t t o o s

Durchaus in allen Gruppen anzutreffen, überproportional - leider verhielt es sich tatsächlich so - jedoch eher bei den einfachen Seelen. Die Ehrgeizler in der Anstalt hatten endlich den Trend der Tapes erkannt. Es gab keinen Körperteil, der nicht mit bunten Pflastern zugeklebt war. Teilweise ging es soweit, dass Handtapes täglich farblich verändert getragen wurden, ja sogar manchmal an die Kleidung angepasst waren. Therapeutisch natürlich überaus zweckmäßig!

 

Was der Melzer scheinbar auch völlig verschlafen hatte, war die große Anzahl an Menschen, die mittlerweile mit irgendeinem Tattoo auf ihrem Körper herumliefen. Die Vielfalt an unterschiedlichen Motiven schien grenzenlos, die Kreativität bezüglich der Anbringung ebenso. Ornamente, Tiere, Namen, Pflanzen oder auch nur einige chinesische Schriftzeichen auf welkenden Körpern, es fand sich alles!

 

Doch damit jetzt genug der Lästerei, bevor der Melzer noch kurz über den Melzer lästern wird, nachstehend noch drei kurze Tipps aus der Wühlkiste, abseit aller Ver(w)irrungen:

WALDECK / "Gran Paradiso"

 

 

Der Wiener Elektronikmusiker WALDECK ist endlich zurück: Vor wenigen Tagen veröffentlichte er das Album „Gran Paradiso“ (Dope Noir Records). Mit seinen genialen Down-Tempo-Beats und der Wiener Sängerin HEIDI MOUSSA-BENAMMAR („La Heidi“) hat WALDECK ein Werk geschaffen, das alle zum Tanzen bringt. Er selbst bezeichnet sein Werk als italienischen Western-&-Spaghetti-Sound, auf alle Fälle der ideale Soundtrack für einen lauen Sommerabend.

JOEL DICKER / "Die Geschichte der Baltimores"

 

 

Vor drei Jahren begeistere der junge Schriftsteller, BJ  85, mit dem Roman "Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert", nun liegt sein neues Werk vor, eine Geschichte, wie geschaffen für lange Nachmittage im Liegestuhl. Eine Familiengeschichte mit viel Tragik, die durchaus das Zeug zur Verfilmung hätte. Man möchte das Buch trotz seiner 700 Seiten auf einen Sitz verschlingen. Diese Reise nach Baltimore ist auf alle Fälle sehr empfehlenswert!

Michael KIWANUKA / "Love and Hate"


 

Wahnsinn! Schon der Opener, unglaubliche 9.58 min lang, eine wahre Ausnahme im heutigen Musikgeschäft. Doch seine Plattenfirma glaubt an ihn, lässt ihn in Ruhe arbeiten und dann kommt so ein Album raus! "I'm A Black Man In A White World!", auch wenn die Vergleiche nerven mögen, diese Arbeit erinnert sehr stark an Bill Withers "Still Bill" oder "Live at Carnegie Hall". Dabei hat sich dieser tolle Musiker lange Zeit gelassen, um das Nachfolgewerk seines Überraschungserstlings "Home Again" aus dem Jahr 2012 zu veröffentlichen. Angeblich gab es auch Zeiten des kreativen Stillstands, doch der Produzent Danger Mouse hiefte ihn wieder in die Spur, ermutigte und unterstützte ihn bei der Entstehung. Der Melzer lehnte sich wieder einmal aus dem Fenster, für ihn schon jetzt eines der Alben dieses Jahres!

Vielleicht sollte jetzt einmal am Schluss dieses Eintrags der Moment kommen, um Licht ins Dunkel zu bringen. Endlich Zeit, um das Geheimnis hinter der Schattengestalt „Melzer“ zu lüften? Zeit, um dieses skurrile und dabei geknechtete Wesen aus seiner Anonymität zu befreien? Doch bevor sich die bisherigen Verirrungen vielleicht lüften lassen, zum besseren UNverständnis einige UNwahrheiten zu dieser irgendwann in den spätherbstlichen Nebelschwaden der Linzer Straße entstandenen Kunstfigur:

 

Ins Leben gehoben hatte den Melzer eigentlich der Schriftsteller Heimito von Doderer, als zentrale Person des Romans „Die Strudelhofstiege“, zwar nicht gerade als Lichtgestalt, aber ob seiner Dümmlichkeit dennoch ein Sternlein in einem nicht erfassbaren Universum, nicht der Sterne, aber der Worte. Minus und Minus sollte eigentlich ja zu PLUS werden, auch im Falle des Melzer, wer jedoch die einschlägigen Foren der nationalen Pädagogen im WWW durchforstet, der wird zwangsläufig zu einem ganz anderen Ergebnis kommen.

 

Welch Depp versteckt sich also eigentlich hinter dem Melzer?? Ein verklemmter Zwangsneurotiker, der sich seine herausgequälten Zeilen nicht unter seinem wahren Namen veröffentlichen getraut?? Eine Art „Baron von Münchhausen“, der unzählige Lügen dafür verwendet, um seine wenigen Leser bei der Stange zu halten?? Ein verarmter Adeliger, der seine wahre, beschämende Identität nicht preisgeben möchte, wo sie doch noch dazu von einer chronischen Alkoholsucht begleitet wird? Ein elender Verführer, der nicht die Gunst der Damen, jedoch die ihrer geliebten Katzen für sich beansprucht?? Fragen über Fragen...

 

Wer jetzt bereits voreilig seine Finger an der Tastatur hatte, um den einen oder anderen wahren, oder auch unwahren Punkt an dieser Stelle anzuheften, der (oder die) irrte jedoch. Es gab den Melzer wirklich! Aus verlässlichen Quellen, die heutzutage, im Wahn der medialen Irrlichter gar nicht mehr so leicht zu orten waren, konnte berichtet werden, dass der Melzer stets an den immer gleichen Orten auftauchte, so auch u.a. im schönen Gasteinertal. Ebenso zuverlässige bis UNzuverlässige Quellen konnten dabei bestätigen, dass es sich bei diesen Erscheinungen um die stets idente Gestalt (mehr oder weniger) handelte. Eine leicht gebückt auftauchende Person, mit sehr kurzen Haaren (manchmal getarnt durch eine Kappe oder unansehnliche Haube), sowie einer Brille, die nicht gerade zum besseren optischen Erscheinungsbild dieser Schattengestalt beitrug. Fragte man diese dubiose Erscheinung nach der aktuellen Zeit, bekam man stets die immer gleichlautende Antwort:

 

 „Time Is On My Side“, den Zeigefinger der rechten auf das leere Handgelenk der linken Hand hinweisend, da sich dort, im Gegensatz zur Mehrheit der (vernünftigen) Menschheit, bei beschriebenem Melzer nie eine Armbanduhr fand. Was in polizeidienstlichen Hinweisen immer wieder Beachtung und Übereinstimmung fand. Und somit zu weiterer Verwirrung führte. Was sollen wir jetzt tatsächlich glauben? Wie werden wir reagieren, wenn der Melzer aus seiner Fantasie erwachen sollte?

 

Bekanntlich folgen Fantasien universellen Grundmustern.

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Helga (Samstag, 28 Juli 2018 10:56)

    Mein lieber Melzer,
    ich habe mich fast nicht getraut, deine Zeilen aus der Anstalt zu lesen. Doch habe ich heute, nach ein paar Tagen in der Anstalt meinen ganzen Mut zusammen genommen und letztendlich... herzlich gelacht! Vielen Dank für die detailreiche Beschreibung, die mich achtsam werden lässt. Konnte schon ein paar deiner Typen identifizieren und hoffentlich umrunden.... Herzlich Helga